Making Worlds

Offener Workshop
18. bis 20. Mai 2006

Offener Workshop der von Marion von Osten (Künstlerin, Berlin/ Zürich) geleiteten Projektgruppe, mit dem Kunstraum der Universität Lüneburg und Mitgliedern des Instituts für Kulturtheorie sowie Gästen: Madeleine Bernstorff, Julia Franz, MeineAkademie Berlin, Preclab Forschungsgruppe Hamburg, Katja Reichard, Peter Spillmann und Axel John Wieder.

Freitag, 19.05.2006

Einführung, Ulf Wuggenig (Kunstraum der Universität Lüneburg)

Die Bologna Reform
Drei Arbeitsgruppen von Studierenden der Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg, die sich mit dem Bologna-Prozess unter den Gesichtspunkten der Humankapitaltheorie, des Mobilitäts- und Flexibilitätsimperativs sowie der Chancengleichheit beschäftigt haben, präsentieren Ergebnisse ihrer Analysen.

Der 1999 u. a. von Deutschland initiierte Bologna-Prozess zielt auf die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes. Zu den Hauptzielen der Reform, Teil der Konstruktion einer gesamteuropäischen Identität und seit 2000 von der EU unterstützt, zählen die Herstellung der Vergleichbarkeit zwischen Studiengängen und die Beseitigung von Mobilitätshemmnissen. Bis 2010 sollen die Studiengänge an den europäischen Hochschulen (inkl. Türkei) einheitlich nach dem hierarchischen Modell von Zyklen reorganisiert werden. Unter dem Eindruck des Amerikanismus der 90er Jahre wird dies etwa in Deutschland als flächendeckende Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen nach angelsächsischem Vorbild interpretiert. Der Bologna-Prozess fußt in vielen Hinsichten auf Vorstellungen der aus dem US-amerikanischen Neoliberalismus (u .a. Becker, Schultz) hervorgegangenen Humankapitaltheorie. Dennoch handelt es sich nicht um ein Beispiel einer rein neo-liberalen Gouvernementalität. Auf den Bologna- Folgekonferenzen in Prag und Berlin wurde etwa bekräftigt, dass Bildung als ein “öffentliches Gut” zu verstehen sei, was z. B. die Einführung von Studiengebühren ausschließt. Außerdem wurde zumindest programmatisch die Berücksichtigung der sog. “sozialen Dimension” verankert, also von Klasse und Geschlecht. Es ist somit zu unterscheiden zwischen den Dokumenten des Bologna-Prozesses, den hegemonialen Interpretationen bzw. Instrumentalisierungen von Zielen und Mitteln dieser Reform und der realen Implementierungspraxis. In Deutschland scheint sie im Sinne eines paradoxen Effektes weniger erhöhte Flexibilität, als vielmehr die Steigerung von Bürokratisierung sowie von Kontrolltechniken der Hierarchie bzw. der industriellen cité mit sich zu bringen.

Die Lakeside Story
Peter Spillmann (labor k3000, Zürich) und Katja Reichard (kpD / pro qm Berlin)

Im April 2005 wurde neben der Universität Klagenfurt der neue Lakeside Science & Technology Park eröffnet. Er soll in Zukunft ein Ort sein, wo internationale Firmen aus dem IT-Bereich und kleine, kreative Start ups von jungen Universitätsabgängern gemeinsam ein Innovations- und Entwicklungszentrum für neue Softwarelösungen bilden. Das Projekt entstand im Wesentlichen auf Initiative der lokalen Wirtschaftsförderung und wird aus Geldern von Bund und Land finanziert. Auf der grünen Wiese direkt nahe beim Seeufer steht nun der Uni-Komplex aus den 70er Jahren, mit seiner eher zufälligen Campusstruktur und mehreren Erweiterungsbauten neben der auffällig, betont progressiv gedachten, rasterartigen Bebauung des neuen Technologieparks und seiner Außenanlage in aufwändigem Design. Die Herausforderung auf formalästhetischer Ebene findet ihr inhaltliches Pendant in der Vision der Gründer des Parks, auf Dauer eine möglichst direkte Verbindung zwischen wissenschaftlicher Innovation und unternehmerischer Verwertung herzustellen. Die symbolischen und realen Herausforderungen neuer ökonomischer Modelle an die Bildung, wo die spezifischen Forschungs- und Entwicklungsbedürfnisse der Unternehmen direkt an die Universität outgesourced werden und die Firmen die Uni darin beraten, zu welchen Themenkreisen neue Professuren geschaffen und Diplomarbeiten verfasst werden sollen, wird auch eines der zentralen Themen von Lakeside Story sein, ein interventionistisches Kunstprojekt, welches im Moment basierend auf zahlreichen Gesprächen mit beteiligten Akteuren, erarbeitet wird. Es wird ein erster Zwischenbericht gegeben.

Die Regierung der Qualität – Die subtile Macht atemloser Reformen
Julia Franz (Erziehungswissenschaftlich Fakultät, Nürnberg)

Seit den 90er Jahren wird das Thema Qualitätsmanagement (QM) in der Erwachsenenbildung in Deutschland rege diskutiert. Die Verbreitung von Modellen wie Total Quality Management (TQM) in der produzierenden Ökonomie wurde zu dieser Zeit u. a. auf das Bildungswesen übertragen. Die Länder befürworten die Einführung von QM-Systemen in Institutionen der öffentlichen Weiterbildung, da sie auf diese Weise einen Teil ihrer Verantwortung abgeben können. Die Steuerung soll in Zukunft im Interesse von Effizienzsteigerung vielmehr auf den Selbstregulationsprinzipien des Weiterbildungs-Marktes beruhen. Die Vertreter/innen der Volkshochschulen positionieren sich gegenüber diesem Systemumbau unterschiedlich. Zum Teil werden Bildung und Markt für unvereinbar halten, zum Teil wird die neu gewonnene “Autonomie” begrüßt. Einen Weg, diese Entwicklungen zu analysieren und zu problematisieren bietet die machttheoretische Perspektive der Gouvernementalitätsstudien. Diese ursprünglich von Michel Foucault entwickelte Sichtweise wird in den 90er Jahren von einigen Autorinnen und Autoren fortgeschrieben. Die “Governmentality Studies” verstehen Macht als das Einwirken auf das Handeln anderer, als “Führung der Führungen” (Foucault 1987). Welche Machtpraktiken werden im Diskurs der Erwachsenenbildner sichtbar? Wie wirken sich diese auf das Feld der Erwachsenenbildung aus? Mit welchen Argumenten positionieren sich die dort Tätigen für oder gegen Qualitätsmanagement? Wie funktioniert die Regierung der Qualität im öffentlichen Weiterbildungswesen?

Die AutoUni
MeineAkademie Berlin

MeineAkademie ist eine Initiative, die nach der Eröffnung der Volkswagen Universitätsbibliothek an der Universität der Künste und der Technischen Universität im Dezember 2004 von Studierenden verschiedener Berliner Universitäten und anderer AktivistInnen ins Leben gerufen wurde. Ausgehend von den aktuellen Kooperationen zwischen den Universitäten und dem Volkswagen Konzern starteten wir eine Recherche zu dieser Form des public-private partnership (PPP). Dabei stellte sich heraus, dass die Kooperationen vor allem ein Baustein in der Entwicklung einer firmeneigenen Privatuniversität sind, der Volkswagen AutoUni, und sich Volkswagen billig Wissensressourcen eingekauft hat. Dabei ist die AutoUni ein besonders interessantes Modell einer privaten Hochschule, da sie alle Images eines ökonomisierten Bildungsmodells bedient und dabei nicht nur ein Geschäftsmodell darstellt, sondern ein Gesellschaftsmodell propagiert und bebildert. Dieses Modell hat sich MeineAkadamie im Seminar “Neoliberale Imagepolitiken” genauer angesehen. Dabei wurde versucht, das Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft zu begreifen und zu kritisieren.
Im Rahmen des Projekts / “Making Worlds” möchte MeineAkademie verschiedene Aktionen vorstellen, die sie in der Volkswagen Universitätsbibliothek durchgeführt hat und versuchen, das Modell Volkswagen AutoUni in der gegenwärtigen Reformdebatte zu verorten.

Prekarisierung der Wissensproduktion: Begehren und Blockaden beim Wissenstransfer
Preclab Forschungsgruppe Hamburg (Marianne Pieper, Efthimia Panagiotidis, Vassilis Tsianos, Institut für Soziologie, Universität Hamburg)

Die gegenwärtig beobachtbaren Transformationsprozesse, die unter den Schlüsselbegriffen “Informationsgesellschaft”, “Entstandardisierung von Arbeitsverhältnissen” und “Umbau sozialer Sicherungssysteme” diskutiert werden, erzeugen Verschiebungen, die in weitreichendem Umfang die Produktions- und Reproduktionsbedingungen tangieren und damit neue Formen von Subjektivitäten sowie neuen Qualitäten der Vergesellschaftung produzieren. Prekarisierte Existenzweisen bewegen sich in einem widersprüchlichen Feld, das gekennzeichnet ist von Verlusten herkömmlicher sozialer und ökonomischer Sicherheiten, sowie von kreativen Möglichkeiten, die der Exodus aus den Normalformen fordistischer Arbeitsverhältnisse und Reproduktionsregime bietet. Auf der Basis von ersten Interviews, die im Rahmen des Forschungs-Netzwerks PRECLAB erhoben wurden, diskutieren wir der Frage des Transfers der Wissensproduktion zwischen innerinstitutionellen Apparaten der Wissenschaft sowie ausserinstitutionellen Produktionsstätten wie dem Labor euromayday.

Samstag, 20.05.2006

Einführung, Marion von Osten (kpD Berlin & ith/ICS, Berlin/ Zürich)

anschließend Filmscreening High School, USA 1968, 85‘ von Frederick Wiseman
mit einer Einführung von Madeleine Bernstorff (Filmkuratorin, Berlin)

Universities as Institutional Archetypes of our Age
Axel John Wieder (pro qm Berlin)

In den 1960er Jahren bildete die Frage der Universität eine zentrale Auseinandersetzung im architektonischen Diskurs. Joseph Rykwert sprach 1968 von “Universities as Institutional Archetypes of our Age”. Dabei beschäftigten sich ArchitektInnen mit den Wissensräumen nicht nur im Sinne einer Planungsaufgabe, die sich darum drehte, wie sich Lernen und Forschung in effektiver oder in anderer Weise räumlich strukturieren ließe. Die Beschäftigung mit der Universität in Bauprojekten, Ausstellungen und Publikationen diente vor dem Hintergrund einer heraufziehenden Wissens- oder Informationsgesellschaft auch einer grundsätzlichen Untersuchung der Prozesse, in denen Wissen entsteht und sich vermittelt, an der sich ArchitektInnen beteiligten, um einerseits eine sich verändernde Produktion von Raum in den Blick zu bekommen und andererseits die Rolle der eigene Disziplin innerhalb dieser Veränderungen zu befragen. Der Beitrag vollzieht anhand von einigen Beispielen wie der XIV. Triennale di Milano oder dem Fragment gebliebenen Universitas-Project des MoMA nach, wie und mit welcher Zielrichtungen durch diesen Diskurs um die Universität Beteiligungsmöglichkeiten an gesellschaftlichem Wissen eruiert wurden.

Unistreik 1968 und Die kritische Universität
Präsentation aus der Arbeitsgruppe Studentenrevolte der Projektgruppe <reformpause>, Universität Lüneburg.

Bereits 1966 schlug der Wissenschaftsrat der damaligen Bundesregierung vor, das Hochschulsystem radikal zu reformieren, nämlich in Richtung eines Grundstudiums (heute: Bachelor) zur Berufsbefähigung und eines Aufbaustudiums (heute: Master) für diejenigen, die “für Wissenschaft befähigt sind”. Der Reformvorschlag fiel in die turbulente Zeit der Studentenbewegung der 60er Jahre und wurde unter dem Stichwort “technokratische Hochschulreform” von Beginn an bekämpft. Der Zusammenstoß der alten Ordinarienuniversität, die vorgab, an den Humboldtschen Bildungsidealen festhalten zu wollen mit den dual am Arbeitsmarkt und an der Wissenschaft orientierten Imperativen des Wissenschaftsrates, eröffnete der Studentenbewegung den Blick auf die Frage nach der Funktion der Wissensproduktion in einer Klassengesellschaft. So kam es 1967 u.a. zur Gründung einer “Kritischen Universität” in Berlin mit dem Ziel, die Universität als Institution der Klassenreproduktion zu entlarven und zugleich eine “Gegenwissenschaft” zu antizipieren, die das Wissen selbst verändern sollte.
Zwar gelang es, die “technokratische Hochschulreform” zu verhindern, doch die Arbeit an der “Gegenwissenschaft” konnte nur eine begrenzte Zeit durchgehalten werden. Gleichwohl sind die Erfahrungen der Studentenbewegung von 1968 aus heutiger Sicht ein wichtiger Beitrag in der Auseinandersetzung um die Ökonomisierung der Bildung. Eine Arbeitsgruppe von Studierenden der Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg hat sich insbesondere mit den Aktivitäten der “Kritischen Universität” an der FU in Berlin befasst und wird die Recherche-Ergebnisse zur Diskussion stellen.

anschließendes Filmscreening: Das ist erst der Anfang- der Kampf geht weiter, 45’, 16mm, Paris 1969 von Claudia Alemann mit einer Einführung von Marion von Osten

(die wandernde kamera) Militante Forschung & Operative Medienarbeit. Zur Konjunktur einer Wissenspraxis der 70er Jahre heute
Katja Reichard (kpD, Berlin)

Die wissenschaftskritischen, militanten Strategien der “Selbstbefragung” und “Mituntersuchung” im Arbeits- und Lebensalltag von ArbeiterInnen in der Produktion hatten in den 70er Jahren zum Ziel, die Hierarchie zwischen dem Untersuchenden und dem Objekt der Untersuchung aufzuheben, und gemeinsam am politischen Projekt und der Veränderung der Verhältnisse konkret zu arbeiten. Parallel zu dieser Praxis militanter Untersuchungen waren emanzipatorische, selbstorganisierte Medienkollektive in den Terrains der Reproduktion, in den Stadtteilen und Institutionen, den Vorräumen der politischen Organisierung aktiv tätig. Als anschaulichen Praxisfall können die sozialen Kämpfe im Berliner Märkischen Viertel Anfang der 70er herangezogen werden, innerhalb derer ein breites Spektrum operativer, kollektiver Medienpraktiken entwickelt wurde, denen die Maxime zugrunde lag, dass Erkenntnis und politische Arbeit “nur über Uffdecken der janz kleenen persönlichen Scheisse jehn kann”. Können Instrumentarien dieser entwickelten Praktiken alternativer Wissensproduktion und operativer Medienarbeit heute produktiv gemacht werden für eine Untersuchung und Politisierung postfordistischer Subjektivierungen?

Das Projekt ist als Kooperation des Kunstraum der Universität Lüneburg mit Marion von Osten in das internationale Projekt eingebunden, das vom eipcp in Wien koordiniert und von der EU im Rahmen des Culture 2000 Programms gefördert wird.

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