Peninsula Europe. The Force Majeure Works

Workshop, Präsentation und Podiumsgespräch mit Werner Härdtle, Helen Mayer Harrison und Newton Harrison, Sacha Kagan, Cornelia Kastelan und Valérie Knoll
1. Juni 2012

In Anknüpfung an eine Tradition von Symposien (»Art, Ecology and Sustainable Development«, 2000) und künstlerischen Projekten im Kunstraum, die sich Fragen von Ökologie und Nachhaltigkeit widmen (u.a. Dan Peterman »Greenhouse«, 1998 und Fabrice Hybert »pof83 [pylône]«, 2000), sind mit Helen Mayer Harrison und Newton Harrison zwei Pioniere der ökologischen Kunst zu Gast in Lüneburg. Die Künstler/innen werden am 1. Juni 2012 ihre Serie »Peninsula Europe: The Force Majeure Works« präsentieren und sich danach in einem Podiumsgespräch, zu dem Vertreter/innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen der Leuphana Universität Lüneburg eingeladen sind, einer Diskussion stellen. Zuvor findet nachmittags ein Austausch über den Zugang der Künstler/innen im Rahmen eines Workshops mit den Harrisons statt.

Helen Mayer Harrison und Newton Harrison (* 1929/1932) leben und arbeiten in Santa Cruz, CA, USA. Sie können auf eine über 40-jährige künstlerische Kollaboration zurückblicken. Ihre Arbeiten finden sich etwa in den Sammlungen des Museum of Modern Art in New York, des Centre Pompidou, Paris, oder des Museum of Contemporary Art in Chicago. Auf der Documenta 8 in Kassel (1987) waren sie ebenso vertreten wie auf den Biennalen von Venedig der Jahre 1976 und 1980 sowie der Biennale von São Paulo 1985.

Die Harrisons vertreten in der zeitgenössischen Kunst eine Position, die sich ausschließlich mit ökologischen Fragestellungen befasst; typisch für ihr Vorgehen ist das Bemühen um breite Kommunikation, zu der auch der Dialog und die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler/innen aus Natur-, Sozial- und Kulturwissenschaften zählen. Bemerkenswert ist ihre Entscheidung, eine künstlerische Strategie zu verfolgen, die im Angesicht der ökologischen Krise die Rezeption nicht durch apokalyptische Szenarien blockiert, sondern diese vielmehr fruchtbar macht für Zukunftsvisionen, die Problemlösungen eröffnen. Ihre ambitionierten Vorschläge, wie etwa die Wiederaufforstung weiter Teile der »Halbinsel Europa«, verstehen sich als Einwürfe in politische Debatten, als »conversational drift«, die ihren Erfolg nicht am Grad der Realisierung des Projekts messen.

Die Entscheidung der Harrisons für eine auf ökologische Fragen fokussierte Kunst entstand Anfang der 1970er Jahre im Klima einer »Dematerialisierung der Kunst« und profitierte vom Begriff des »expanded field«, mit dem die Skulptur ihren Geltungsbereich auf Landschaft und Architektur erweitern konnte.

Zu den bekanntesten künstlerischen Projekten der Harrisons gehört der »Lagoon Cycle« (1973–1985). Er präsentierte sich in der Form eines Dialogs zwischen einem »Lagunenmacher« und einem als »Zeugen« fungierenden Interpreten. In letzter Konseqünz werden in dieser formal und inhaltlich komplexen Arbeit die Konditionen thematisiert, die für ein Überleben der Menschen notwendig erscheinen. Wesentliche Teile der Arbeit wurden im Johnson Museum der Cornell University Ithaca und im Los Angeles County Museum of Art gezeigt. Der von letzterem Museum publizierte Katalog enthält u.a. einen Beitrag von Michel de Certeau über die Arbeit der Harrisons.

In dem mehrphasigen Projekt »Peninsula Europe« schlagen die Harrisons auf dem Hintergrund von Szenarien der Klimaerwärmung die Kultivierung eines riesigen, transeuropäischen Waldes vor, der auf den Hochgründen (300–350 Meter Höhe) Europas wachsen soll. Diese Wiederaufforstung, so ihre These, würde wie ein Schwamm wirken, der den von Klimaforscher/innen prognostizierten Dürren entgegenwirken könnte. Allgemeiner formuliert geht es um die Intention, das gesamte geophysikalische System in eine größere, ökologische Stabilität zu bringen.

Helen und Newton Harrison greifen in ihrer künstlerischen Arbeit vor allem auf kartographische Darstellungen zurück, nicht zuletzt, um auf den arbiträren Charakter nationaler Grenzen aufmerksam zu machen. Charakteristisch für ihre künstlerische Arbeit ist zudem die bereits früh vollzogene Verabschiedung von der Idee individüller Urheberschaft. Von zentraler Bedeutung ist für sie stattdessen die Kollaboration mit Wissenschaftler/innen aus verschiedensten Disziplinen; die in den Projekten verwendeten Präsentationen sind zum Teil von Ökosystem-Darstellungen wissenschaftlicher Provenienz nicht zu unterscheiden. Als besonders hilfreich erwies sich für Newton und Helen Mayer Harrison der Bezug auf Komplexitätstheorien, wie sie in der Kybernetik und Systemtheorie entwickelt wurden. Ihre Beschäftigung mit ökologischen Systemen ist zugleich eine Auseinandersetzung mit sozialen Systemen. Gäbe es nicht unerbittliche Eigeninteressen, würde die »Halbinsel Europa« sich in eine Stabilitätsdomäne verwandeln, heißt es im »Projekt eines Zukunftsgartens«: »Gegenwärtig führt sich der globale Markt auf wie die golemhafte Schattenversion der Biosphäre«. Politische Planungsprozesse, die dem Klimawandel begegnen wollen, müssten jederzeit mit dem Widerstand derjenigen rechnen, die von den gegenwärtigen Zuständen profitieren. Aus der Sicht von Newton und Helen Mayer Harrison besteht eine der Aufgaben von Künstler/innen, die sich mit der ökologischen Krise beschäftigen, darin, nach der Art eines sozialen Sicherheitssystems ein »Öko-Sicherheitssystem« (»eco-security-system«) zu installieren. So beginnt die Arbeit der beiden Künstler/innen dann, wenn sie eine Anomalie in der Umwelt wahrnehmen.

theharrisonstudio.net

Die Veranstaltung basiert auf einer Kooperation des Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg mit dem im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) von der EU und dem Land Niedersachsen geförderten Projekt KIM, Innovations-Inkubator der Leuphana Universität Lüneburg und dem IKKK der Leuphana Universität Lüneburg (Sacha Kagan).