pausenkino

18. Mai bis 18. Juni 2006

Filmvorführungen im Rahmen von <reformpause> an verschiedenen öffentlichen Orten (Hörsäle, Kunstraum, Seminarräume)

An verschiedenen öffentlichen Orten (Hörsäle, Kunstraum, Seminarräume) wird ein <pausenkino> programmiert, in dem die Auseinandersetzung und Kritik an Bildungsinstitutionen und -konzepten durch historische und aktuelle Film- und Videoarbeiten auf den Campus zurückgetragen wird. Die Filmauswahl wird von Marion von Osten in Zusammenarbeit mit Madeleine Bernstorff zusammen gestellt.

High School

USA 1968, 85’ von Frederick Wiseman

“High School ist ein Film über Macht, wie sie in einer Institution ausgeübt wird, deren vorgebliche Mission es ist, zu erziehen… Der Anfang und der Schluß zeigen die Schule als eine Fabrik, die ein Produkt hervorbringt.”(Reality Fictions- the films of Frederick Wiseman) Seit den 60er Jahren arbeitet der amerikanische Regisseur Frederick Wiseman über Institutionen, die die Krisen der Gesellschaft mitverwalten. Sein erster Dokumentarfilm über einen Knast für psychisch kranke Straffällige (TITICUT FOLLIES 1967) war ein Skandal, bis Mitte der 90er Jahre durfte der Film im Bundesstaat Massachusetts nicht öffentlich gezeigt werden. Seine Filme über Wohlfahrtsbehörden (WELFARE 1975), über eine HIGHSCHOOL (1968), über ein Krankenhaus, in dem vor allem Sterbende versorgt werden (NEAR DEATH 1989), über ein Shelter in Florida (DOMESTIC VIOLENCE 2001) oder über ein Wohnungsamt in Chicago (PUBLIC HOUSING 1997) sind geprägt von einem tiefen Interesse an den Konflikten, die Menschen in die Institutionen treiben, genauso wie von einer Perspektive auf die Arbeit der dort Arbeitenden - ohne die Regeln und Repressionen der Institutionen auszublenden. Wiseman arbeitet beobachtend, nach der Methode des direct cinema - ohne Interviews, Musik, oder Kommentare, und ohne einer Ideologie der “Authentizität” anheim zu fallen. Wiseman, der in all seinen Film selbst den Ton macht, verwendet keinen Off-Kommentar, weil er dem Publikum zutraut, seine Schlüsse zu ziehen. Er möchte die ZuschauerInnen in die Lage versetzen, ihre eigene Beziehung zum Material herzustellen, als wenn sie sich selbst in der Institution befänden und herausfinden müßten, was dort vorgeht. Das Drehverhältnis ist etwa 1:25, die Arbeit am Schneidetisch dauert meist mindestens zehn Monate.

If…

UK, 1968, 111’ von Lindsay Anderson
Mit Malcolm McDowell, David Wood, Richard Warwick, Christine Noonan, Rupert Webster u.a.

If… beschreibt aus der Perspektive von drei englischen College-Studenten den Zustand der westlichen Gesellschaft in den 60er Jahren und im speziellen eines post-imperialen, post-kolonialen Britanniens. Der Titel des Filmes stammt von einem berühmten Kipling Gedicht, das die Ideale des britischen Empires verkörperte. Der Konflikt des Empires um Aden, das heutige Yemen, endete 1967, zur selben Zeit als If… gedreht wurde. Im Laufe des Filmes füllen sich die Wände des Schulhauses mehr und mehr mit Bildern aus Zeitungen und Magazinen über Protestbewegungen, sexuelle Versprechungen, der Kulturrevolution und den afrikanischen Befreiungskämpfen. Das College, das von den Protagonisten Mick Travis (Malcom McDowell) und seine beiden Freunden (David Wood / Richard Warwick) besucht wird, ist eine Miniatur der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es wird dominiert von Abschlussstundenten und Strebern, die die Schüler- und Studentenschaft im Namen einer liberal demokratischen Schulleitung und Lehrerschaft kontrollieren und bestrafen. Schläge, kalte Duschen und andere Disziplinierungsaktionen gegen Travis und seine rebellischen Freunde nehmen jene Gewalt vorweg die im May und August 1968 in Chicago, Paris, Berlin, Prag oder Belgrad den studentischen Protestbewegungen entgegen gebracht wurde. Der Film endet in einem bürgerkriegsähnlichen Gefecht gegen Vertreter der Kirche, des Militärs, der Schule und der Politik. Dieses Finale verweist dabei nicht nur auf den revolutionären Kampf im Allgemeinen, sondern auch auf die kolonialen Befreiungskriege. Obwohl Lindsay Anderson mit “If…” dem Muster des Rebellen-Films der 60er Jahre verpflichtet ist, und die Rolle von Frauen unterbelichtet bleibt, betont Anderson auf eindringliche Weise die erotischen Beziehungen, die zwischen den Studenten entstehen, sei es in Unterwerfung oder in Freundschaft. Dieses Zusammentreffen von Homosexualität, Machtdispositiv, post-kolonialer Kritik und revolutionärem Kampf war in den 60er Jahren noch eine Ausnahme.

Das ist nur der Anfang – Der Kampf geht weiter

BRD/F, 1969, 45’ von Claudia Alemann, Kamera: französisches Filmkollektiv

In Paris im Mai 1968 streikten StudentInnen und ArbeiterInnen, so auch die Studierenden des Filminstituts. Während die ProfessorInnen behaupteten es bedürfe einer langen ästhetischen und technischen Ausbildung um Filme zu machen, forderten die Studierenden den Einsatz des Films für die politische Arbeit. So entwendeten die StudentInnen die Kameras der Universität, diskutierten mit ArbeiterInnen den Einsatz von Film als Mittel zur Politisierung und drehten Filme, die nicht einfach über die Arbeiterschaft berichteten, sondern mit ihnen gemeinsam entwickelt wurden. So entstanden auch Filme der Arbeitenden selbst, die über die konkreten Produktions- und Lebensverhältnisse und die Forderungen im Generalstreik berichteten. Diese operative Film- und Medienarbeit ist Ende der 60er Jahre aus der Erfahrung der italienischen und französischen Streik- und Protestbewegungen hervorgegangen, in denen eine Praxis gemeinsamer Kämpfe, auch auf der Grundlage ihrer Repräsentation in der Öffentlichkeit zentral war. Die militante Filmpraxis wollte das Konzept von RegisseurIn, Kamera und ProtagonistIn in ein dynamisches und nicht hierarchisches Verhältnis bringen. Wissensproduktion wurde nicht mehr als eine auf die Universität beschränkte Praxis verstanden, sondern das Wissen der Arbeitenden und das Wissen des Alltags wurden als ebenso relevant bewertet. Alle waren nun Experten, ArbeiterInnen, Intellektuelle, KünstlerInnen. “…dann wurde auch mit neuen techniken experimentiert, z.b. das “volksfernsehen”, “télévision populaire”, das wir jeden tag gemacht haben: mit einem videogerät, das uns godard geliehen hatte, nahmen wir tagsüber die wichtigsten neuigkeiten auf und führten sie abends in kneipen und buchhandlungen usw. wieder vor. damals gab es noch keinen batteriebetriebenen videorekorder, d.h. wir mussten ständig mit netzanschluss arbeiten und konnten so nur in räumen drehen. Über all die erfahrungen habe ich einen film ge- macht, weil ich diese beispiele für den “film als waffe” als instrument zur information und agitation auch bei uns bekannt machen wollte.” (Claudia Alemann in einem Interview in frauen und film Nr. 5 1975)

Immatrikulation

BRD, 1968, 5’ von Lutz Mommartz
mit Jürgen Hillmer und Bruno Rückert

Eine fingierte Farce … eine Häufung von Eröffnungsreden-Klischees … zu verlesen in der Aula, in der nun alle saßen. Mit ein paar zeit-typischen Zwischenrufen! —

En Rachâchant

F, 1982 7’ von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub nach der Erzählung “Oh! Ernesto” von Marguérite Duras

“En Rachâchant ist zunächst ein Text von Marguérite Duras. Die Straubs liebten ihn und weil sie ihn liebten, verfilmten sie ihn. Angesichts des vollendeten Films konnte die Duras nicht umhin, ihn ihres Textes würdig zu befinden. Die Duras ist folglich sympathisch. In Schwarzweiß (die Kamera führt Henri Alekan, und dementsprechend großartig ist das Bild), in einer Küche, dann in einem leeren Klassenzimmer: eine Handvoll Schauspieler und ein widerspenstiger Junge. “Der kleine Ernesto” so heißt er, erkläurt, dass er nicht mehr in die Schule gehen wird, aus dem guten Grund, dass man dort das lernt, was man nicht weiß. Und wie wird der kleine Ernesto das lernen, was er nicht weiß (fragt drohend der verknöcherte Pädagoge)? Un-ver-meid-lich, antwortet das Kind, das, nachdem es seiner Mutter einen unbeschreiblich zärtlichen Blick zugeworfen hat, die Tür hinter sich zuknallt und die Erwachsenen in ihrer Verwirrung sitzen lässt. …”
(Serge Daney, Libération 7. April 1983)

Thut alles im Finstern, um Eurem Herrn das Licht zu ersparen

CH, 1971, 45’ von Daniel Schmid

Der Titel des Filmes bezieht sich auf ein Buch aus dem Jahr 1745 von Jonathan Swift, “Anweisung an das Gesinde”, eine Zeit vor der allgemeinen Schulpflicht in England, in der das “Gesinde”, die Dienerschaft weder Lesen noch Schreiben konnte. Dass Buch war somit an die Herrschaft gerichtet, die in Mußestunden die Anweisungen Swifts an die Dienerschaft studieren konnten und sich so ein lernendes und dienendes Subjekt imaginierte. Daniel Schmids zeigt in unterschiedlichen Tableaus das Verhältnis von Herrschaft und Dienerschaft und situiert sie in Orte mit disziplinarischen Charakter die an Schule, Kirche, Massenunterkunft erinnern. Demgegenüber sind die Herrschaftsräume Orte der Ruhe und Entspannung. Den Herrschaften stehen aber jeweils die Vielen gegenüber, die sich dem Unterricht Dienen zu lernen unterziehen und nicht enden wollende Reinigungsarbeiten nachgehen. Der Film wurde von Daniel Schmid 1970 in der Nähe von Venedig in der Villa Pisani gedreht, während der Dreharbeiten zu einem Film von Peter Lilienthal, bei dem er als Regieassistent arbeite. Schmid hatte vom Bayrischen Rundfunk einen Auftrag ein Portrait über Peter Lilienthal zu machen, wozu er, wie er sagt “keine Lust hatte” und nutze stattdessen für vier Tage einen Teil der Crew um in der Villa Pisani “Bilder zu machen”. Der Film landete schlussendlich in der Experimentalfilmabteilung des BR.

“Sie kommen aus einem sehr vermögenden Elternhaus, sie hatten alle nur denkbaren Aufstiegsmöglichkeiten, Zugang zu Macht, Reichtum. Was hat sie veranlasst dies alles hinter sich zu lassen, auf alles zu verzichten und in eine Dienerschule einzutreten?”

“Im Dienen und im Erlernen dieses Handwerks liegt für mich die einzige Organisation meiner, unter unseren Bedingungen, notwendig fiktiven Existenz. Ich habe alles versucht mich in den gesellschaftlichen Bedingungen, in der Einsamkeit, in einen Prozess kreativer Veränderung hineinzubringen. Ich habe die einheitsbildenden revolutionären Prinzipien, die, die großen Kollektive in den Traum von Utopie, aber niemals in ihre sinnlich unmittelbare Gegenwart führten, geprüft. Ich habe mich betrügen lassen und bin betrogen. Jetzt werde ich verführen und betrügen. Ich erlerne das Ritual des Dienens. Ich werde folgsam und demütig sein. Ich bilde exklusive Charaktereigenschaften und Gesten heraus. Ich gehe ganz in meinem einfachen Funktionen auf und erprobe an meinem Herrn die Methoden der erotischen Zersetzung der Macht. Wir fließen unter die Haut unseres Herrn, sie glauben zu sterben, aber wir liquidieren sie nur.”
Zitiert aus “Thut alles im Finstern, um Eurem Herrn das Licht zu ersparen”, Daniel Schmid 1971

Skola

S, 1999-2001, 14’ von Cecilia Wendt
mit Sally Hufvbauer

Das Video basiert auf der Untersuchung einer Architekturklasse an der KKH Arkitektskola Malmö im Jahr 1982-83, in der drei Essays zu Institutioneller Architektur, im Spezifischen zu Schulgebäuden in Malmö entstanden. Der Bau von Schulgebäuden wurde dabei historisch und lokal nachvollzogen und als eine Art Anweisung für Architekten verstanden, in der das Wissen um Schuladministration, pädagogische Prinzipien und die technischen Bedingungen und ästhetischen Diskurse der Zeit in Architektur umgesetzt werden soll. Gleichzeitig wird eine Fälle von Literatur zitiert, in der verhandelt wird wie und warum Schulen geplant und gebaut werden sollen. Die drei Essays verhandeln zudem die lokalen Anforderungen an Bildung selbst, wie der räumlichen Strukturierung und ästhetischen Form etwa der früheren Volksschule, sowie der heutigen Grund- und Mittelschule in der immer wieder neue Formen des Lernens und der Kommunikation auch räumlich verhandelt werden. Cecilia Wendt folgt diesen Annäherungen in ihrem Film.

Elephant

USA, 2003, 81’ von Gus Van Sant
Kamera: Harris Savides, Sound-Design: Leslie Shatz

Elephant, ein Highschool-Film, der sich indirekt auf das Colombine-Massaker bezieht, bewegt sich außerhalb jeder kausalen Perspektive. Die Jugendlichen, meist LaiendarstellerInnen, durchstreifen die Gänge einer Highschool, die fast schwebende Kamera bleibt ihnen auf den Fersen. Die Autorität ist nicht mehr sichtbar. Wir werden durch die Korridore in den Schulhof geschickt und in die Klassenzimmer, die Bibliothek und die Cafeteria, das Verwaltungsbüro, die Umkleideräume. Wir folgen im Lauf des Tages verschiedenen Schülern und erleben einige Momente und Begegnungen aus den Blickwinkeln verschiedener Figuren. Dies sind die bulimischen Freundinnen, die auf Kommando kotzen, der Junge, der seinen Alkoholiker-Vater verzweifelt versucht zu schützen, das Mädchen, das sich dem Regime der heterosexuellen Geschlechterbilder verweigert, ein Junge, der zufällige Begegnungen fotografiert für seinen Leistungskurs Fotografie, so auch die zwei Killer. Die Schüler aus Portland wurden dazu angehalten, ihre Rollen aus dem eigenen Leben zu entwickeln, ihre eigenen Geschichten und Erlebnisse einzubauen. Es gab keine festgeschriebenen Dialoge, im Wesentlichen improvisierten die Schüler ihre Texte, wobei Van Sant sie zuweilen an eine Geschichte oder sonst etwas, das sie gesagt hatten, erinnerte. “Die Leute waren am Prozess, ihre Figuren zu erschaffen, mitbeteiligt. Die meisten Kids spielen im weitesten Sinne ähnliche Rollen wie im Leben”, sagt er. Ausnahmen von dieser Regel sind Alex Frost und Eric Deulen, die als die beiden Jungen besetzt wurden, die dem Tag ein jähes Ende machen.