Tribunalismus

Kunst als Prozess
7. Oktober bis 21. November 2021

Gezeigte Werke: Zuleikha Chaudhari: „Landscape as evidence: Artist as witness“ (2017), Tyler Coburn: „Richard Roe“ (2019), Alice Creischer: „Proudhon, die Gesellschaft des 10. Dezember und der Club der faulen Debitoren” (2012), Irrenoffensive Berlin: „Foucault-Tribunal“ (1998), Rajkamal Kahlon: „Did you Kiss the Dead Body?“ (2012ff.), Helen Knowles: „The Trial of Superdebthunterbot“ (2016), Ronald Searle: Zeichnungen aus dem Eichmann-Prozess (1961), Abderrahmane Sissako: “Das Weltgericht von Bamako“ (2006), Peter Spillmann und Marion von Osten: „Viet Nam Diskurs“ (2016), sowie Feliks Topolski, Zeichnungen aus den Nürnberger Prozessen (1946)

Die Ausstellung versammelt filmkünstlerische Arbeiten, Tribunal-Dokumenta­tio­nen und künstlerische Arbeiten, die Tribunale durchkreuzen – sowie eine von Mirjam Thomann gestaltete Raumintervention, die für die Ausstellung entstanden ist und sie installativ als Verhandlungsraum rahmt.

Im Theater, im Kino, in der Literatur, vor allem aber im Bereich der Performancekunst wurde in den letzten Jahrzehnten das historische Format des politischen Tribunals zu einer immer einflussreicheren künstlerischen Kommunikationsstruktur über gesellschaftliche Konflikte. In inszenierten oder live aufgezeichneten (Wieder-)Aufführung­en rechtlicher und sozialer Verständigungen, die sich bis zur Identifikation in gesellschaftliche Wahrheitsfindungs- und Versöhnungsprozesse hineinversetzen können, bilden sich im Künstlerischen völlig neue performativ sprechende und zuhörende Rechtssubjekte heraus, es entstehen neuartige Sichtbarkeiten und Sprecher*innenpositionen. Das sich potentiell ausdifferenzierende Spektrum subjektiver Wahrnehmungen und Beurteilungen artikuliert in seiner öffentlichen Aufführung zuvor nicht miteinander konfrontierbare Haltungen und Standpunkte, grenzt an Erscheinungsformen des Protests und der Aufklärung. Im Wechselspiel von Anklage und Bekenntnis, im Erscheinen des Geheimen und bis dahin Ungehörten, in der verunsichernden Erfahrung der Veränderlichkeit vormals fester Positionen begegnen Teilnehmenden und Betrachter*innen im „Tribunalismus“ der Kunst zentrale Eigenschaften des historischen Tribunals.

Das Russell-Tribunal gegen den Vietnam-Krieg wurde mit Peter Weiss’ Theaterstück „Viet Nam Diskurs“ und dessen Wanderungen zwischen Tribunal, Theater und Protest (aus dem und am Theater) in jüngerer Zeit zu einer wichtigen Referenz für künstlerische wie aktivistische Grenzerfahrungen zwischen Recht und Kunst. Filme wie „Das Weltgericht von Bamako” (Abderrahmane Sissako, 2006) oder „Landscape as evidence. Artist as witness“ (Zuleikha Chaudhari, 2017), das Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ in Zusammenarbeit mit der Gruppe „Forensic Architecture“, Aufführungen wie „Die Moskauer Prozesse“ oder „Das Kongo-Tribunal“ (Milo Rau, 2013 bzw. 2015) – dies sind nur einige Tribunale, die im künstlerischen Bereich stattgefunden haben.

Organisiert und kuratiert von Susanne Leeb und Clemens Krümmel.