Conceptual Paradise

the studio of interest
10. Dezember 2009 bis 20. Januar 2010

Projekt und Ausstellung mit Stefan Römer (Berlin)

Vortrag im Rahmen der Eröffnung
Inke Arns: Die Sowjetunion als Conceptual Paradise – Der Moskauer ‘existenzielle’ Konzeptualismus und andere Seltsamheiten

Der Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg eröffnet am 10. Dezember 2009 die erste öffentliche Praesentation des Ausstellungs- und Wikiprojekts »Conceptual Paradise« des in Berlin lebenden Künstlers Stefan Römer. Dieses Projekt über die Conceptual art, die einen zentralen Forschungsschwerpunkt des Kunstraums darstellt, wurde in einer Kooperation zwischen Stefan Römer, Eva Birkenstock (Kunstgeschichte), Kathrin Busch (Philosophie), Martin Warnke (Digitale Medien) und Ulf Wuggenig (Soziologie, Kulturtheorie) sowie einer Gruppe von Studierenden aus den Bereichen Kunst- und Bildwissenschaften, Kulturtheorie und Digitale Medien der Leuphana Universität Lüneburg erarbeitet.

Konzeptuelle Kunstpraktiken umreißen heute ein weites Feld, das nicht auf Text- und Diskursproduktion reduziert werden sollte, sondern darüber hinaus durch eine Vielzahl konkurrierender Definitionen und künstlerischer Ansätze gezeichnet ist. Die Diskussionen um die Conceptual art zu aktualisieren, bedeutet somit ein Terrain vielfältigster historischer, post-, neokonzeptueller und auch de-konzeptueller künstlerischer Praktiken zu betreten.

Den Ausgangspunkt für das Projekt bildet der gleichnamige Film »Conceptual Paradise« (2006) von Stefan Römer – eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema anhand von Gesprächen mit drei Generationen von Konzeptkünstler/innen. In Form einer spezifischen filmischen Reflexionsweise eröffnet der Film (http://www.conceptual-paradise.com) Einblicke in jene Diskurse, die für zeitgenössische Praktiken wie künstlerische Forschung, immaterielle Arbeit, Institutionskritik oder internetbasierte Projekte grundlegend sind. Über die im Film verwendeten Sequenzen hinaus, wird nun in einem ersten Schritt das umfangreiche Material aus den Gesprächen mit rund 50 Künstler/innen und Theoretiker/innen in voller Länge auf dem Wiki zur Verfügung gestellt. Einer breiten Öffentlichkeit werden somit nicht nur das rare Filmmaterial sondern auch die Interview-Transkriptionen für Recherche und Diskussion zugänglich gemacht.

Mit dieser Plattform für Kunstkritik und zukünftige Online-Ausstellungen, sollen neue künstlerische Projekte sowie theoretische Texte angeregt werden. Das Wiki fungiert auf diese Weise nicht nur als Archiv und kulturelles Gedächtnis, sondern auch als ein Raum für Diskussionen über künstlerische und wissenschaftliche Projekte. Dem Auftakt in Form der Ausstellung soll die Herausbildung einer im Lauf der Zeit kontinuierlich wachsenden internationalen Informations-, Diskussions- und Produktionsplattform über konzeptuelle Praktiken folgen, die sich von der Konzentration der Geschichtsschreibung auf den nordwestlichen Teil der Welt löst. Entstanden in einer vom Neoliberalismus geprägten Epoche, wird mit dem Wiki eine kritische Reflexion der Arbeitsbedingungen in jenem künstlerischen Feld angestrebt, in dem die Initiatoren selbst tätig sind.

In unmittelbarem Anschluss an eine Reihe von Projektseminaren, die Stefan Römer seit 2007 im Kontext des Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg gehalten hat, präsentiert die Ausstellung den aktuellen Stand des Wiki «Conceptual Paradise», der in enger Zusammenarbeit mit den am Projekt beteiligten Studierenden entwickelt wurde. Für diese erste öffentliche Präsentation konzipierte Stefan Römer eine spezifische Installation, die um das Thema des «Künstlerstudios» kreist. Seit der «no-studio-Idee» der frühen konzeptuellen Kunst wurde das künstlerische Studio zum Gegenstand unterschiedlicher Diskussionen. Während künstlerische Forschung und der mit dem Internet verbundene Computer einen zunehmend wichtigeren Stellenwert in der künstlerischen Produktion einnehmen, geriert sich hier der Ausstellungsraum wie ein bedeutungsgenerierendes Display. Auf vier großformatigen Bannern wirft Stefan Römer die Frage auf, wie das «Studio» heute funktioniert; Texte und Diagramme erscheinen auf dem Seerosenmotiv, das nun ikonisch fuer den Film «Conceptual Paradise» steht. Grundsätzlich geht es Stefan Römer um eine dekonstruktive Lektüre der heute als klassisch geltenden Definition von Konzeptkunst, die auf die Behauptung hinaus läuft, dass eine visuelle Formulierung zweitrangig sei. In diesem Zusammenhang spielt die Differenzierung zwischen den Begriffen «konzeptionell» und «konzeptuell» eine wichtige Rolle.

Die Ausstellungseroeffnung ist zugleich der Auftakt für die Vortragsreihe «Conceptual Paradise: Artistic Practice in the Age of the Social Web». Nach Inke Arns (10. Dezember 2009) sind Sabeth Buchmann (17. Dezember 2009), Ute Meta Bauer (14. Januar 2010) und Ricardo Basbaum (28. Januar 2010) im Kunstraum zu Gast. Die Reihe wird im Sommersemester 2010 fortgesetzt.

Conceptual Paradise verfolgt nicht zuletzt das Ziel, zusammen mit dem Wiki und seiner Präsentation weitere Reflexionen über die erkenntnistheoretischen Grundlagen der künstlerischen Produktion anzustoßen, wobei dafür unterschiedliche Praxisformen vorgesehen sind, wie z. B. Online-Ausstellungen, Forschungsgruppen, Konferenzen und alternative Formen des Diskurses.

Der Künstler Stefan Römer betreibt eine diskursive Praxis der Intervention im zeitgenössischen Kunstfeld. Zur Zeit der so genannten Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1989 waren die Straßen in diesem Land von rechtsradikalen Überfällen auf MigrantInnen beherrscht. Eingeladen zu einer Galerieausstellung in Köln (1992), reagierte Stefan Römer auf diese Situation, indem er das aktivistische Projekt «FrischmacherInnen» initierte, eine interdisziplinaere Gruppe aus Aktivist/innen, Künstler/innen, Journalist/innen sowie Kulturwissenschaftler/innen. Die Gruppe trat nur durch öffentliche Aktivitäten in Erscheinung, die mit einem virtuellen Logo beworben wurden. Während der 1990er Jahre stellte diese Gruppe die Basis für Stefan Römers mehrmediale Interventionen in die Stadtentwicklung und den Populismus dar. Zudem errang die anonyme Gruppe mit Film- und Vortragsreihen, Demonstrationen und Performances große Aufmerksamkeit in der Kölner Kunstszene.

Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen entwickelte Stefan Römer den Begriff «Ambient» für die neue kapitalisierte und privatisierte «Öffentlichkeit» und beabsichtigte so, das Konzept des «White Cube» zu erweitern, der seit der Moderne als der ideale Präsentationsort für Kunst galt. Mit diesen Begriffen, die er in seinen Schriften entwickelt, verfolgt Stefan Römer eine künstlerische epistemologische Praxis.

Zudem unterzog Stefan Römer die Begriffe «Authentizität» und «Original» einer Kritik hinsichtlich ihrer symbolischen Macht und ihren ideologischen Implikationen für die institutionelle Konstruktion des Künstlers und des Kunstwerks. Sein Buch «Künstlerische Strategien des Fake – Kritik von Original und Fälschung» (2001) bringt diese Dekonstruktion der kunstinstitutionellen Grundlage des Originals auf den Punkt.

Mit seiner Neuinterpretation von Konzeptualismen – wie sein Essay-Film «Conceptual Paradise» und das dazugehörige Wiki-Projekt – versucht Römer nicht nur, die vorherrschende Rezeption der Konzeptkunst als eine künstlerische Produktion zu hinterfragen, die visuelle Strategien unterdrückt, sondern vor allem ein anderes Modell der Beziehungen von Wort/Bild und Praxis/Theorie zu entwickeln; zudem versucht Römer, eine dekonstruktive künstlerische «Theorie als Praxis und Praxis als Theorie» zu begründen. Er betrachtet das Internet in diesem Sinn als eine erweiterte Form der Ausstellung. Stefan Römers Interesse richtet sich mit diesem Wiki-Projekt darauf, eine Alternative für die künstlerische Präsentation zu entwickeln, die sich nicht auf den physischen Raum beschränkt.