SIEV-X. Zu einem Fall von verschärfter Flüchtlingspolitik

Diskussion und Werkpräsentation mit Dierk Schmidt (Berlin)
10. Mai 2005

anlässlich des Erscheinens der Publikation
Dierk Schmidt: SIEV-X. Zu einem Fall von verschärfter Flüchtlingspolitik. Ein Bildzyklus in drei Teilen, Gespräche und Texte. Reihe polypen bei b_books, Berlin 2005.

Am 19. Oktober 2001 sank zwischen Australien und Indonesien ein 19 m langes Boot mit 397 Flüchtlingen Bord, von denen nur 44 das ‘Schiffsunglück’ überlebten. Obwohl das australische Grenzobservierungsprogramm bereits das überfüllte Boot als ‘Suspected Illegal Entry Vessel’ (SIEV) identifiziert hatte, unterließ es jegliche Rettungsmaßnahmen. Dass es keinerlei fotografische Dokumentationen dieses (migrations-)politischen Desasters gibt, ist nicht nur für die Bildpolitik der Massenmedien bezeichnend, sondern auch ein Anlass, die politische Potentialität des Genres des Historienbildes neu zu überdenken.

Peter Weiss untersuchte in seinem Roman ‚Ästhetik des Widerstands‘ die Möglichkeiten, wie und ob überhaupt die Kunst des Bürgertums für das Selbstverständnis und den politischen Kampf der Arbeiterklasse verwendbar wäre. Dabei wird an den Bildern ‚Die Freiheit auf den Barrikaden‘ von Delacroix und ‚Das Floß der Medusa‘ von Géricault exemplarisch der Unterschied zwischen operativer und idealistischer Ästhetik erläutert. Die beiden Bilder hängen noch heute am selben Platz im Louvre. Dierk Schmidt nimmt diese Platzierung auf, aktualisiert jedoch die Sujets. Idealistisch ist der Nike-Clip, in dem das brasilianische Fußballteam kickend sämtliche Sicherheitssperren eines Flughafens überwindet. Operativ wäre die Darstellung einer der zahlreichen Havarien eines überladenen Flüchtlingsschiffs und die Platzierung dieser Darstellung in den Salons der Innenministerien.

Arbeiten von Dierk Schmidt waren im Kunstraum der Universität Lüneburg zu sehen in den Ausstellungen “Formen der Organisation”, Juli 2003 und “Die Regierung - Handlungen, die Handlungen setzen”, April 2004, jeweils kuratiert von Ruth Noack und Roger M. Buergel.