Militante Untersuchung als artistic research?

Vortrag von Pascal Jurt
18. Juni 2013

An so unterschiedlichen Orten wie bei sozialen Bewegungen in Argentinien, Jobcentern in Neukölln, Mayday-Paraden, in linkspublizistischen Anthologien, aber seit einem Jahrzehnt auch im Feld der Kunst- und Theorieproduktion stolpert man immer wieder über den Begriff der »militanten Untersuchung«. Dieses Konzept manifestierte sich nicht nur im Kontext der breiten Rezeption des (Post-)Operaismus, sondern neuerdings auch im Zuge der Debatten über »artistic research« und wirft Fragen nach der Brisanz des Produktionsprozesses in der akademischen Welt und im Feld der Kunst auf. Das Wissen um die »con-ricerca« (Mituntersuchung), ein Konzept, das im Italien der Nachkriegsjahre von marxistischen und sozialistischen Parteidissidenten im Zuge des Operaismus entstand, ist jedoch weitgehend verschüttet. Entscheidend ist, dass sich in diesen Untersuchungen die teilnehmende und politisch intervenierende Position mit der theoretischen Analyse verbinden sollte.

Die Abgrenzung von der klassischen Untersuchung wissenschaftlicher Leseart kann auch wichtige Impulse für Künstler*innen und Kulturwissenschaftler*innen bieten: Fragen der Zusammensetzung der Orte, an denen man tätig ist, die Fragmentierung des Sozialen, politische Haltungen und die Möglichkeit autonomer (Selbst-)Organisierung stehen im Zentrum der »militanten Untersuchungen«. Die Konfrontation vieler Einsichten und ähnlicher methodischer Vorgehensweise von Marx (wie z.B. der »Fragebogen für Arbeiter«) mit den stark veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen von FabrikarbeiterInnen ist auch heute für Praktiken und Artikulationen von Kognitivproletariern von Interesse.

Wenn man die Bedeutung des Konzepts für eine aktuelle Kritik des gegenwärtigen Kapitalismus auch nicht klären wird können, so steht doch die Frage im Raum, ob künstlerische Forschung eine »militante Untersuchung« sein kann, wie dies etwa Alice Creischer und Andreas Siekmann – anlässlich des Projekts »ExArgentina« - zur Diskussion stellten.

Pascal Jurt (Berlin/Wien) ist Soziologe und lehrt zu Militanten Untersuchungen und dem Spekulativen Realismus an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Derzeit forscht er zur Darstellbarkeit von Arbeitskämpfen im Film. Als freier Autor schreibt er u.a. in Springerin, Missy, Spex, Konkret und Jungle World zu Kunst und Kultur.