In niemandes Zeit. Der Streit um den Begriff des Ereignisses im Poststrukturalismus
Vortrag von Katja Diefenbach
3. Juli 2014
Das »Ereignis« ist einer der Großbegriffe, den uns die »französische Philosophie« in den 1960er Jahren überlassen hat. In die Debatte gebracht wurde er, um in die politische und theoretische Krise des Marxismus einzugreifen, nachdem dessen geschichtsphilosophischen Grundlegungen zertrümmert worden waren. Wie sich anhand der Figuren der Ausnahme und der Intensität bei Badiou und Deleuze zeigt, ist aber nichts umstrittener als das Denken des Ereignisses. Für Badiou ist es ontologisch grundlos und muss durch den Eingriff eines Subjekts retroaktiv bewahrheitet werden. Für Deleuze aber folgt auf ein Ereignis nicht seine nachträgliche Verfestigung wie Mayonnaise, wenn sie bindet, sondern seine raumzeitliche Differenzierung.
Als Deleuze den damit verbundenen Begriff der Intensitätsdifferenz in seine Kinotheorie einbaut, gibt er ihm nachträglich einen optischen Charakter. In einer scharfen, Badious Einwänden nicht unähnlichen Kritik erklärt Rancière, dass Deleuze keine Filmtheorie, sondern eine kinematographische Naturgeschichte entwickelt habe, in der die Kinogeschichte einfach dasselbe wie die Seinsgeschichte offenbart, nämlich die Autonomisierung achronologischer Zeit, ihre unablässige Selbstgründung im Spalt zwischen alles bewahrender Vergangenheit und immer vorübergehender Gegenwart.
Gegen Rancière oder Badiou werde ich die These vertreten, dass Deleuzes Ontologie der Intensität im Poststrukturalismus eine interessante Sonderstellung einnimmt, da sie dem Denken der Politik und der Ästhetik der Existenz kein einsinniges Prinzip (wie Streit, Entscheidung oder Treue zum Ereignis) unterlegt, sondern kraft des reinsten unter den anarchischen Prinzipien operiert, des Differenzausdrucks.
Katja Diefenbach ist Theoretikerin und lebt in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind französische Epistemologie und Philosophie des 20. Jahrhunderts, unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Marxismus und Poststrukturalismus. Vor kurzem ist der von ihr mitherausgegebene Band »Encountering Althusser. Politics and Materialism in Contemporary Radical Thought« (Bloomsbury 2013) herausgekommen. 2015 erscheint »Politik der Potentialität. Spinoza im Postmarxismus«. Katja Diefenbach hat an der Akademie der Bildenden Künste, München, an der Universität der Künste, Berlin, der Humboldt Universität, Berlin, der Jan van Eyck Akademie, Maastricht, und der Hamburger Hochschule für Bildende Künste gelehrt.