Helmut Draxler, Andrea Fraser
erschienen in: Games, Fights, Collaborations. Das Spiel von Grenze und Überschreitung. Kunstraum der Universität Lüneburg (Hg.), 1996
Einführung
Es erscheint uns, daß projektorientierte künstlerische Praktiken, die sich
auf institutionelle Kritik, auf produktivistische, aktivistische und politisch-dokumentarische
Traditionen sowie auf Post-Studio-Aktivitäten, auf ortsspezifische Kunst und/oder
Kunst im öffentlichen Raum beziehen, nicht notwendigerweise eine gemeinsame
thematische, ideologische oder das Verfahren betreffende Basis besitzen. Ihnen
tatsächlich gemeinsam ist dagegen die Tatsache, daß sie alle einen gewissen
Arbeitsaufwand leisten, der entweder über eine spezifische materielle Produktion
hinausgeht oder unabhängig von ihr ist und der nicht zusammen mit einer solchen
Produktion gehandelt werden kann.
Diese Arbeit, die im ökonomischen Bereich als Dienstleistung bezeichnet werden
würde (im Gegensatz zur Warenproduktion), könnte beinhalten:
die Arbeit der Interpretation oder Analyse von Orten sowohl innerhalb als
auch außerhalb der kulturellen Institutionen;
die Arbeit der Präsentation oder Installation (dort, wo solche Begriffe sich
stärker auf die Aktivität als auf das produzierte Umfeld beziehen);
die Arbeit der öffentlichen Erziehung sowohl innerhalb als auch außerhalb
kultureller Institutionen;
Anwaltsfunktionen oder andere gemeinschaftsbezogene Arbeit, die Organisation,
Didaktik, dokumentarische Produktion und Schaffung alternativer Strukturen miteinschließt
("Gemeinschaft" beinhaltet hier sowohl kunstbezogene als auch städtische Gemeinschaften).
Unter KünstlerInnen und KuratorInnen scheint ein wachsender Konsens darüber
zu bestehen, daß die neuen Verhältnisse, die die projektbezogene Praxis beinhaltet,
einer Klärung bedürfen, und zwar unabhängig davon, welches die Quellen und die
geeignete Definition dieser projektbezogenen Praxis sind. Während KuratorInnen
zunehmend daran interessiert sind, KünstlerInnen aufzufordern, ein Werk in Ausrichtung
auf eine spezifische bestehende oder konstruierte Situation hin zu schaffen,
wird die Arbeit, die notwendig ist, um auf solche Ansprüche zu reagieren, oft
nicht erkannt oder angemessen kompensiert. Umgekehrt sind viele KuratorInnen,
die sich der Projektentwicklung verpflichtet fühlen, frustriert, wenn sie sich
in der Rolle von Produzenten für kommerzielle Galerien oder von "Dienstleistungs-Abteilungen"
für KünstlerInnen, die sich am Dialog uninteressiert zeigen, wiederfinden.
Der folgende Vorschlag hat sich zum Teil aus spezifischen, unter KünstlerInnen
geführten Diskussionen über das Bedürfnis nach kollektiv etablierten Richtlinien
für Projekt-Arbeit entwickelt. Der vorliegende Vorschlag wird und kann solche
Diskussionen nicht ersetzen; er zielt vielmehr darauf, sie zu fördern, indem
er ein Forum für die Überprüfung derselben praktischen Fragestellungen sowohl
aus der historischen Perspektive der Entwicklungen im Verlaufe der letzten 25
Jahre heraus anbietet als auch im Sinne der theoretischen und politischen Fragen,
die diese Entwicklungen aufwerfen.
Ausstellung
Um diese und andere Fragestellungen, die sich auf eine unseres Erachtens nach
wesentliche Verschiebung innerhalb und um zeitgenössische Kunst herum beziehen,
zu behandeln, schlagen wir vor, eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit einer
Arbeitsgruppe von KünstlerInnen und KuratorInnen, die wir hoffen, in den Tagen
vor ihrer Eröffnung zusammenführen zu können, zu produzieren. Die Ausstellung
soll im Verlauf des im folgenden beschriebenen Prozesses entstehen.
Die Organisatoren stellen Hintergrundmaterial zusammen, das sich auf die Veränderung
der Verhältnisse, die durch projektorientierte Arbeit bedingt wurden, bezieht,
sowie Material, das die vergangenen und gegenwärtigen Bedingungen solcher Verhältnisse
dokumentiert. Dieses Material soll dokumentarisches Material über KünstlerInnen-Organisationen,
über alternative Räume sowie über die Ausstellungen und Aktivitäten einzelner
KünstlerInnen, über Vorschläge, Prospekte und Verträge von KünstlerInnen, über
Ausstellungsbudgets und institutionelle Richtlinien beinhalten.
TeilnehmerInnen an der Arbeitsgruppe werden aufgefordert, dokumentarisches
Material mitzubringen, das sich auf ihre Arbeit als KünstlerInnen und KuratorInnen
bezieht, sowie auch anderes Material, das sie für relevant erachten.
Diese Materialien werden im Ausstellungsraum installiert, wo sie vor der Ausstellungseröffnung
einen Teil der Diskussionsbasis für die ebenfalls dort tagende Arbeitsgruppe
bilden.
Die Sitzungen der Arbeitsgruppen werden auf Video aufgenommen und das Video
wird zusammen mit den oben genannten Materialien in der Ausstellung gezeigt
(nach, soweit notwendig, vorheriger Redaktion).
In Verbindung mit der Ausstellungseröffnung wird eine öffentliche Präsentation
der Gruppendiskussion durch alle oder einige ihrer TeilnehmerInnen stattfinden.
Im Anschluß an die Ausstellung wird ein Katalog erstellt werden, der einige
der in der Ausstellung gezeigten Materialien sowie eine Auswahl der zu den Videobänden
und der öffentlichen Diskussion hergestellten Transkripte enthalten soll.
Anmerkung: Die Ausstellung sollte keine Original-Kunstwerke oder Unikate zeigen.
Da wir möchten, daß die Ausstellung leicht und billig zirkulieren kann vielleicht
in mehr als einer Fassung sind wir eher an Druckerzeugnissen oder leicht kopierbarem
Material wie Videos, Photographien oder Dokumenten interessiert. Wir hoffen
auch, die Arbeitsgruppe mit allen oder einigen der Teilnehmer an einzelnen Orten,
zu denen die Ausstellung wandern wird, wiedereinberufen zu können.
Diskussion
Wir sind besonders daran interessiert, ein Diskussionsforum zu sehr praktischen
Problemen von KünstlerInnen untereinander und zwischen KünstlerInnen und KuratorInnen
zu schaffen; darüberhinaus glauben wir, daß Lösungen zu praktischen Problemen
häufig politische Entscheidungen darstellen, die nicht nur die Arbeitsbedingungen
von KünstlerInnen, sondern auch die Funktion und Bedeutung ihrer Aktivität beeinflussen
können.
Vor diesem Hintergrund schlagen wir folgende Fragen für die Diskussion vor:
Ist es angemessen oder sinnvoll, die Aktivitäten und Verhältnisse, die "Projekt-Arbeit"
von anderen Formen künstlerischer Praxis unterscheiden, als "Dienstleistungen"
zu beschreiben? Falls eine solche Entwicklung von Dienstleistungen tatsächlich
stattgefunden hat, markiert sie eine Transformation der sozialen Verhältnisse
innerhalb und um künstlerische Aktivität herum? Hat zum Beispiel die Dimension
der Dienstleistung eines guten Teils von Projekt-Arbeit die auf dem öffentlichen
und privaten Markt in Waren etablierten Verhältnisse von "Betrachtern, Käufern,
Händlern, Machern" (und Leihenden) in solche von Experten / Klienten oder von
gemeinschaftsbezogenen Dienstleistungen verwandelt?
Wenn ja, in welchem Ausmaß war diese Transformation ein Ergebnis des Handelns
von KünstlerInnen, die zum Ziel hatte, die Bedingungen und die Bedeutung ihrer
Aktivität zu kontrollieren und zu verändern (in der Aktivität, zum Beispiel,
die auf die historische Kritik an den Verhältnissen des Kunstmarkts folgte)
und in welchem Ausmaß ist sie ein Ergebnis von historischen Veränderungen in
kulturellen Institutionen und kunstbezogenen Berufen?
[Wir denken dabei zum Beispiel an:
die in den sechziger Jahren erfolgte abschließende Professionalisierung von
zuvor ehrenamtlichen Positionen in kulturellen Institutionen (in den Vereinigten
Staaten) und die zunehmende Autonomie der Institutionen von der direkten Kontrolle
durch die Mäzen;
die in den siebziger Jahren erkennbare zunehmende Bedeutung von öffentlicher
Unterstützung für kulturelle Institutionen (in den Vereinigten Staaten), die
zu einem stärkeren Bewußtsein ihres öffentlichen Auftrags führte;
den Kunstmuseumsboom in den achtziger Jahren, der eine weitaus größere Nachfrage
nach KünstlerInnen mit sich brachte, während die Ausweitung kunstbezogener Berufe
die sowohl eine größere Autonomie, als auch einen größeren Wettbewerb unter
KuratorInnen hervorrief bedeutete, daß sich diese Nachfrage aktiver und spezifischer
auf besondere Orte und konstruierte Situationen hin ausgerichtet gestaltete.]
Wie können wir die Veränderungen der Bedingungen und Verhältnisse künstlerischer
Praxis in Relation zu solchen Entwicklungen bewerten und lenken? Wie könnten
die Verhältnisse, die Projekt-Arbeit beinhaltet, formalisiert werden, um die
Interessen sowohl der KünstlerInnen als auch der Organisationen zu schützen?
In welcher Weise würde die Formalisierung dieser Verhältnisse die Autonomie
der KünstlerInnen und die kritischen oder oppositionellen Möglichkeiten künstlerischer
Praxis beeinflussen? Würde sie zum Beispiel dazu führen, daß KünstlerInnen eine
rein reformistische Funktion innerhalb von Institutionen übernähmen?
Können Versuche, die Position von KünstlerInnen innerhalb von Märkten und Institutionen
durch Professionalisierung um ein Experten / Klienten-Modell herum zu transformieren
oder zu beschützen, mit den radikalen Zielsetzungen des Modells der gemeinschaftsbezogenen
Dienstleistungen verbunden werden?
Quelle: http://www.uni-lueneburg.de/fb3/kunst/kunstraum/texte/draxlerfraser.html