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Die Ausstellung behandelt Geschichten und zeitgenössische
Manifestationen einer kollektiven Imagination, die durch die Opposition von
Zentrum und Peripherie strukturiert ist und unter dem Namen "Eurozentrismus"
subsumiert werden kann. Der Titel der Ausstellung ist einem Buch der
Literaturwissenschaftlerin Mary Louise Pratt entliehen (Imperial Eyes: Travel
Writing and Transculturation, 1992), in dem sie die Produktion eines europäischen
"planetary consciousness" anhand der Reise–, Beschreibungs– und Sammlungstätigkeiten
seit dem 18. Jahrhundert nachzeichnet.
Die Etablierung der systematischen Naturwissenschaften seit dem 18. Jahrhundert und die
zeitgleichen Großunternehmungen europäischer Expeditionen begründeten mit der
Abenteuer– und Reiseliteratur ein Bewusstsein der europäischen Zentralität, vor deren
Blick sich der Rest der Welt als immenses Spektakel wie auch als ein durch
Klassifikation zu ordnendes Chaos darbot. Neben den harten Techniken der ökonomischen
Ausbeutung und politischen Kontrolle überseeischer Gebiete hatten die "weichen"
literarischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Techniken der Vermessung der
Welt, der Ordnung der Dinge und der Repräsentation von Differenz Anteil an der
Konsolidierung kolonialer Herrschaftsformen, die um 1900 ihren Höhepunkt erreichten.
Die Niederschläge des eurozentrischen Weltbildes in den Bewusstseins– und
Gefühlsstrukturen des Einzelnen überdauern die Ära des Kolonialismus, während
sie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zugleich einer postkolonialen Kritik
ausgesetzt sind.
Die Ausstellung fragt nach dem gegenwärtigen Status des planetarischen Bewusstseins
am Beispiel von künstlerischen Arbeiten, die sich mit der Genese des europäischen
Weltbildes in genreübergreifenden Inszenierungen des Zentrum–Peripherie–Modells vor
dem Hintergrund (post–)kolonialer Dispositive beschäftigen. Betrachtet man dieses
Weltbild als ein mythisches Wissen, so scheinen gerade künstlerische Verfahren
geeignet, oft diffuse und begrifflich schwer fassbare Gefühlsstrukturen von
Zentralität und planetarischem Bewusstsein zu evozieren und im Sinn von Barthes’
Beschreibung mythischen Wissens als "formloser, unstabiler, nebulöser Kondensation"
kenntlich zu machen.
Christine Meisner folgt in The Present den Spuren und Stationen von Joseph Conrads
Roman Herz der Finsternis in Belgien, Kongo und Polen, um der historischen
Reiseerzählung eine aktuelle Perspektive zu verleihen. Die Arbeit widmet sich
einer kontrapunktischen Betrachtung der geteilten, aber unterschiedlich erfahrenen
und institutionalisierten Geschichte Europas und Afrikas. Hatten Autoren wie Conrad
die kollektive Vorstellung der Europäer vom kolonialen Raum bis weit ins 20.
Jahrhundert hinein geprägt, so war es im 19. Jahrhundert Alexander von Humboldt,
der das planetarische Bewusstsein Europas und insbesondere das Bild der "Neuen Welt"
geformt hatte.
José Alejandro Restrepo bezieht sich in El cocodrilo de Humboldt no es el cocodrilo
de Hegel auf eine Meinungsverschiedenheit zwischen Hegel und Humboldt, die als
paradigmatisch für innereuropäische Differenzen in der Betrachtung der außereuropäischen
Welt gelesen werden kann und aus den Zugängen verschiedener Wissensdisziplinen resultiert.
Lisl Ponger benennt in Wild Places eine Genealogie von Genres der imperialistischen
Aktion/Repräsentation im Bezug auf das kolonisierte Andere, in der auch der/die
KünstlerIn eine Rolle spielt. Mit En Couleur, das eines der bekanntesten Fotos von
Man Ray neu inszeniert, spielt Ponger auf eine frühe Phase der künstlerischen Kritik
an den kolonial–rassistischen Weltbildern der europäischen Moderne an, die jedoch
exotistischen Projektionen verhaftet blieb. Pongers Die Beute verdichtet die unzähligen
Referenzen des planetarischen Bewusstseins zu einem Bild der (post) modernen
Psychopathologie des kultivierten Eurozentrismus.
Mathias Poledna adressiert den westlichen Archivierungsdrang an einem Beispiel, das nicht
von vorn herein als Produkt kolonial–imperialistischer Geisteshaltung verstanden werden
muss. Seine Vitrinen präsentieren Schallplatten – "Music of Southeast Asia", "Anthology
of Central & South American Indian Music", "Voices of the Satellites"... – die aus einem
Projekt von Folkways Records (1948–1986) mit dem Ziel einer Enzyklopädie der "gesamten
Welt der Töne" stammen. Die Platten erscheinen hier musealisiert als Dokumente einer
westlichen Moderne, deren Selbstgefühl aus der Idee einer vollständigen Vergegenwärtigung
und Aufbewahrung des Anderen gespeist wurde.
Christian Kravagna
KünstlerInnen
Christine Meisner, * 1970, lebt in Berlin.
Ausstellungen (Auswahl):
2008 MUSEION Bozen.
2007 Victoria & Albert Museum London; Centre of Contemporary Art Warsaw.
2006 Salzburger Kunstverein
2005 Musée des Beaux–Arts Ville de Nantes; Pinacoteca, Sao Paulo; Museum of Modern Art, Recife.
2004 ifa-Galerie, Berlin; ifa-Galerie, Stuttgart; Ateliers d’Artistes de la Ville,
Marseille.
2003 NGBK Berlin; Kunsthalle Exnergasse, Wien.
2000 Kunstbüro Wien.
1999 Filmfestival Diagonale Graz.
Mathias Poledna, * 1965, lebt in Los Angeles und Wien.
Ausstellungen (Auswahl):
2007–2009 Crystal Palace, Hammer Museum, Los Angeles/ Museum of Contemporary Art, Chicago/ New Museum of
Contemporary Art, New York (Cat.) (Solo)
2007 For a Special Place: Documents and Works from the Generali Foundation Collection, Austrian Cultural Forum,
New York.
2006 Whitney Biennial, Whitney Museum New York (Cat.)
Galerie Daniel Bucholz, Köln (Solo)
2005 Witte de With, Rotterdam (Solo)
2004 20/20 Vision, Stedelijk Museum, Amsterdam.
3. Biennale für Zeitgenössische Kunst, Kunstwerke Berlin (Cat.)
2003 Museum für Moderne Kunst, Sammlung Ludwig, Wien (Solo).
2001 Grazer Kunstverein, Graz (Solo)
1996 Manifesta 1, Rotterdam.
Lisl Ponger, * 1947, lebt in Wien.
Ausstellungen (Auswahl):
2008 Lasst tausend Blumen blühen, Kunsthaus, Dresden (Cat.) (Solo)
2007 21 Positions, Austrian Cultural Forum, New York.
Imago Mundi, Landesgalerie, Linz (Cat.) (Solo)
2006 All our Tomorrows, Kunstraum Lüneburg, Lüneburg
2005 Projekt Migration, Kölnischer Kunstverein, Köln (Cat.)
Schweizer Krankheit + die Sehnsucht nach der Ferne, Kunsthaus Dresden,
Dresden
2004 Der Black Atlantic, Haus der Kulturen der Welt, Berlin (Cat.)
Si j’avais eu l’autorisation ... , Dak’art Off. Dakar, (Solo)
Tour–ism, Tapies Foundation, Barcelona
2002 Documenta XI, Kassel (Cat.)
Routes, Grazer Kunstverein, Graz (Cat.)
José Alejandro Restrepo, * 1959, lebt in Bogota.
Ausstellungen (Auswahl):
2007 52. Biennale Venedig.
2006 Artists Space, New York.
2005 Amos Anderson Art Museum, Helsinki.
2004 Botánica política. Usos de la ciencia, usos de la historia. Sala Montcada,
Fundació "la Caixa", Barcelona, Spain
(Cat.)
Leçons de mémoire/Memory Lessons. Musée du Louvre, Paris, France
"Nous
venons en paix..."/Histoires des
Amériques. Musée d’Art Contemporain, Montréal, Canada (Cat.)
2003 Machihembrao. Galería Valenzuela y Klenner, Bogotá, Colombia (Cat.)
Colombia 2003. Oscar Muñoz, José
Alejandro Restrepo, Miguel Ángel Rojas.
Museo de Arte Moderno, Buenos Aires, Argentina (Cat.)
90:Desplazamientos.
Arte colombiano en los 90. Museo de Arte Moderno, Bogotá, Colombia (Cat.)
2002 TransHistoires. Histoire et mythe dans l’oeuvre de José Alejandro
Restrepo.
Ecole Supérieure des Beaux–Arts, Toulouse, France (cat.) (Solo)
2000 7. Biennale Havanna.
Dieses Projekt wurde im Rahmen von translate.eipcp.net und mit Mitteln des EU-Kultur 2000 Programms der Europäischen Union durchgeführt.
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